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Elisabeth – von der Betroffenen zur Helferin

Als Leiterin der Salzburger Selbsthilfegruppe „Taub und trotzdem hören“ hat Elisabeth Krenner schon zahlreiche CI-Kandidaten beraten. Zuvor musste die spät ertaubte Malerin aber selbst ihren Lebensmut wiederfinden. Aus ihrer Geschichte schöpft die CI-Botschafterin nun die Kraft, die sie anderen schenkt.

An ihr letztes Essen als Hörende kann Elisabeth Krenner sich noch genau erinnern: Leberknödel; bei einem Volksfest, das sie mit ihrer damals dreieinhalb Jahre alten Tochter besucht hatte. Am nächsten Tag sollte sich das Leben der jungen Salzburger Mutter für immer verändern.

Elisabeth wurde am 20. Mai 1990 mit Verdacht auf Gallensteine ins Krankenhaus gebracht. Elisabeth fiel einen Monat lang ins Koma – Diagnose: Multiorganversagen.

„Die Ärzte kämpften mit mehreren Operationen um mein Leben, sie glaubten aber nicht mehr daran, dass ich das ohne bleibende Gehirnschäden überlebe.“

Als sie wieder zu sich kam, plagten sie unheimliche Albträume und eine erschütternde Erkenntnis: „Ich höre nichts mehr.“

Hörverlust erfordert Trauerarbeit

Nicht alle Spät-Ertaubten verlieren unter so dramatischen Umständen ihr Gehör wie Elisabeth. Den Gehörverlust zu akzeptieren, fällt allerdings fast allen gleich schwer. „Es ist echte Trauerarbeit nötig“, sagt Elisabeth heute, die aufgrund ihres eigenen Leidensweges die Selbsthilfegruppe „Taub und trotzdem hören“ gegründet hat.

„In den letzten Jahren habe ich in drei verschiedenen Hörwelten gelebt. Von der Hörenden, zur Gehörlosen mit und ohne Gebärdensprache bis zur CI-Trägerin war es ein jahrzehntelanger Prozess. In dieser Zeit habe ich sehr viel Lebenserfahrung gesammelt.“

Elisabeth weiß wie es sich anfühlt, verzweifelt um sein Gehör zu kämpfen.
„Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass ich nicht mehr hören werde“, sagt sie. Und von da an fiel sie in ein tiefes Loch: „Ich fühlte mich als Mensch zweiter Klasse.“ Mit Lippenlesen konnte sie ihr Umfeld zwar verstehen und mit ihrer kleinen Tochter entwickelte sie sogar eine eigene Gebärdensprache nur für die beiden.

„Kein Außenstehender hat uns verstanden, Tamara und ich waren uns dadurch näher als je zuvor.“

Malen gab ihr Selbstwertgefühl

Mit der Seidenmalerei – von ihrer Psychotherapeutin empfohlen – erschlossen sich Elisabeth später neue Ausdrucksmöglichkeiten, ihre Augen waren das Tor zur Welt. Bald stellte sie ihre Werke sogar aus.

„Erstmals fühlte ich mich wieder als vollwertiger Mensch.“

Das Malen eröffnete Elisabeth neue Möglichkeiten. | Bildnachweis: Elisabeth Krenner

Sie war so erfolgreich, dass sie im neunten Jahr nach ihrem Gehörverlust als österreichische Staatsmeisterin zu den Abilympics nach Prag reiste, einem Berufswettbewerb für Menschen mit Behinderungen. Lippenlesen funktionierte auf Tschechisch natürlich nicht, staunend beobachtete sie aber, wie andere Gehörlose sich mühelos in Gebärdensprache unterhielten. Das motivierte sie, die Österreichische Gebärdensprache zu erlernen.

„Dadurch konnte ich endlich wieder mit anderen Menschen kommunizieren und entdeckte eine ganz neue Kultur.“

Angst, Hoffnung und Freude

Im Jahr 2003, nachdem die Medien über ihren Weltmeistertitel in Seidenmalerei berichteten, wurde ein anderer HNO-Experte auf sie aufmerksam und ermunterte sie, sich operieren zu lassen.

Elisabeth mit einem ihrer Kunstwerke | Bildnachweis: Elisabeth Krenner 

Sie suchte den Kontakt zu einer Betroffenen mit Cochlea-Implantat, die sie allerdings nicht überzeugten. „Ich hatte schon zu viele Schauermärchen gehört und großen Respekt vor der Operation.“ 2008 wurde der Wunsch, endlich wieder zu hören, schließlich doch zu stark. Elisabeth wagte den Schritt und wurde CI-Kandidatin.

Ihr Arzt bestärkte sie, indem er etwas trocken feststellte: „Sie sind schon taub. Tauber können sie nicht werden.“ Damit dämpfte er gleichzeitig auch die Erwartungen:

„Wegen meiner fast 20-jährigen Gehörlosigkeit wurden meine Chancen, wieder zu hören und zu verstehen, als sehr gering eingestuft.“

Die Zeit vor der OP ist sehr sensibel, weiß Elisabeth heute. CI-Kandidaten sind dann besonders betreuungsintensiv. Aktuell erarbeitet sie darum mit ihrer Selbsthilfegruppe ein Mentoring-Programm, bei dem auch die Angehörigen der Patienten einbezogen werden.

„Die Betroffenen brauchen eine Motivation zur Implantation und müssen an sich glauben.“

Es ist auch wichtig die Hoffnungen und Erwartungen frühzeitig zu bremsen. Das Umfeld darf nicht erwarten, dass jemand sofort hören und verstehen kann.

Bei ihrer eigenen Erstanpassung hörte Elisabeth zwar sofort Geräusche, konnte sie aber nicht zuordnen. Das Schönste nach der Operation war für sie: „Endlich die Stimme meiner Tochter wieder zu hören.“

Elisabeth und ihre Tochter Tamara verbindet etwas Besonderes. | Bildnachweis: Elisabeth Krenner

Eine stationäre Reha half ihr, das Hören komplett neu zu erlernen. Der Kontakt zu anderen Betroffenen stärkte sie psychisch: „Wir waren sogar gemeinsam in der Disko.“

Von der Gehörlosen zur Hörsüchtigen

Heute hört Elisabeth wieder so gut, dass sie regelmäßig CDs hört und zu Konzerten geht.

Vorher konnte sie einzelne Instrumente nicht unterscheiden, Gesang hörte sich für sie auch nicht gut an. „Heute klingt Musik viel besser, feiner, schöner, reiner, kräftiger – es ist 100 und 1 zu vorher!“ Und über die Zeit nach der zweiten Operation sagt sie: „Ich wurde quasi hörsüchtig.“ Über einzelne Geräusche kann sie sich heute noch freuen wie ein kleines Kind:

„Der Wind, die Wellen, das Rascheln der Blätter – bei Spaziergängen werde ich oft von Glücksgefühlen übermannt.“

Außenstehenden scheint es wohl, als wollte sie die Jahre der Stille nun doppelt und dreifach aufholen. Dabei hat sie schlichtweg eine gänzlich neue Lebensfreude gewonnen – und gibt anderen etwas davon weiter.


Facts über Elisabeth

  • Sie ist in mehreren sozialen Organisationen, zB. dem GehörlosenVerein, engagiert
  • hat als Seidenmalerin sogar in Neu-Dheli eine Weltmeisterschaft gewonnen
  • wurde von Papst Benedikt XVI empfangen
  • führt persönlich mehr als 50 Beratungsgespräche im Jahr
  • setzt sich politisch für Gehörlose ein und
  • ist im Salzburger Monitoring Ausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
    Kurz: Ihre Lebensgeschichte würde vermutlich für drei Elisabeths reichen.
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