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Soziale Gesundheit – eine Frage des guten Hörens

Endlich Wieder Hören besuchte am Österreichisch-Deutschen Geriatriekongress in Wien den Vortrag der angesehenen niederländischen Geriaterin Myrra Vernooij-Dassen zum Thema Soziale Gesundheit. Darin legte sie dar, wie wichtig soziale Kontakte und gesellschaftliche Netzwerke für Demenzkranke sind. Parallelen zum Hören sind dabei unübersehbar. Lesen Sie im folgenden eine Zusammenfassung.

Was ist soziale Gesundheit?

Um gesund zu sein, braucht es mehr als nur eine umfassende medizinische Versorgung. Gesundheit und Zufriedenheit basieren auf dem Zusammenspiel verschiedener Komponenten: eine gesunde Umwelt, Arbeit, die nicht krank macht, ein soziales Netz und eine vernünftige Lebensweise sind nur einige dieser Faktoren.

Soziale Gesundheit bedeutet, an alltäglichen gesellschaftlichen Aktivitäten teilnehmen zu können.

Voraussetzungen für ein langes Leben

Unter den zehn wichtigsten Voraussetzungen für ein langes Leben finden sich bekannte Faktoren wie saubere Luft, Herzgesundheit und ein geringer Alkohol- und Nikotinkonsum. Die Plätze 1 und 2 belegen allerdings überraschend die Punkte „soziale Integration“ sowie „enge Beziehungen zu Familie und Freunden“.[1] Mit sozialer Integration ist konkret die tägliche Kommunikation mit anderen Menschen gemeint. Das müssen nicht zwingend Verwandte sein, auch das Gespräch mit dem Bäcker oder das gemeinsame Essen beim örtlichen Seniorentreff zählen dazu. Kommunikation gilt dabei als wichtiger Baustein für soziale Gesundheit.

Je älter, desto wählerischer

Dieses Motto trifft nicht auf alle Lebensbereiche zu, aber definitiv auf Freundschaften. Je älter Menschen werden, desto genauer suchen sie sich ihre Freunde aus. Meist bestehen Freundschaften schon seit vielen Jahren oder Jahrzehnten. Es ist daher ratsam, schon in jüngeren Jahren soziale Kontakte zu pflegen. „Ich habe so viel Arbeit, da bleibt keine Zeit für Freunde“ – dieser Satz kann sich Jahre später rächen.

Studien zeigen, dass die Lebenszufriedenheit älterer Menschen steigt, wenn sie viel mit ihren Freunden unternehmen. Aktivitäten mit Freunden wirken auch positiv als Puffer gegen die negativen Folgen des Alterns.[2]

Angst vor Stigmatisierung

Doch was passiert mit Freundschaften, wenn eine Demenzerkrankung den Traum vom gesunden, zufriedenen Altern platzen lässt? Herr Anton hat Demenz im Frühstadium. Er schämt sich, weil ihm die Namen seiner langjährigen Kegelfreunde ständig entfallen. Um sich nicht zu blamieren, verzichtet er auf seine wöchentlichen Kegeltreffen. Die Angst, stigmatisiert und gemieden zu werden, weil er vergesslich wurde, ist allzeit präsent. Herr Anton zieht sich immer mehr zurück. Mit den Sozialkontakten geht auch die soziale Gesundheit zurück.

Nachgewiesenermaßen steigt das Risiko eines Gedächtnisabbaus, wenn Menschen einsam und ohne Ansprache sind. Als „Verstärkung der Demenzsymptome durch Isolation“ bezeichnen Geriater dieses Phänomen.

Ähnlich gelagert ist die Situation bei Menschen, die schlecht hören. Auch sie befürchten oft, Fragen falsch zu verstehen und unpassend zu beantworten. Vielen ist es unangenehm, wenn sie häufig nachfragen müssen. Es folgt der Rückzug von Bekannten, von Freunden, aus dem sozialen Umfeld. Eine Parallele zur Demenz mit ähnlichen Folgen.

Zur Behandlung von Demenz gibt es verschiedene Ansätze, von Medikamenten bis hin zu kognitiven Therapien. Aufhalten kann man die Demenz bis heute allerdings noch nicht.

Hörverlust lässt sich einfacher behandeln, für fast alle Arten und Schweregrade gibt es wirksame Lösungen. Diese reichen von konventionellen Hörgeräten bis hin zu Hörimplantaten, wenn Hörgeräte nicht mehr stark genug sind. Wichtig ist allerdings die Bereitschaft, etwas gegen die Schwerhörigkeit zu unternehmen und sie nicht als unabdingbares Zeichen des Älterwerdens zu akzeptieren.

Unser Gehirn – leistungsfähig bis ins hohe Alter

Durch körperliche, geistige und soziale Aktivitäten wird unser Gehirn laufend trainiert. Betroffene können von sich aus etwas zu einer besseren Lebensqualität beitragen. Unser Gehirn bewahrt sich bis ins hohe Alter seine Plastizität, lernt neues dazu und kann kompensieren. Kognitive Stimulation erhöht diese Neuroplastizität. Das macht sich die Demenzforschung im Gedächtnistraining zunutze. Es führt in kleinen Schritten wieder zu mehr Eigenständigkeit. Durch regelmäßiges Üben und bestimmte Gedächtnisstrategien merkt sich Herr Anton die Namen seiner Kegelpartner und geht wieder gern mit ihnen kegeln.

Personen, die aufgrund ihrer hochgradigen Schwerhörigkeit ein Hörimplantat benötigen, stehen mit der Operation am Anfang ihres neuen Hörlebens. Ein Hörtraining unterstützt den Erfolg unter Nutzung der Neuroplastizität. So können auch ältere bis hochaltrige Menschen die Vorteile eines Hörimplantats genießen.

Denn eines ist sicher: gut hören bedeutet mehr soziale Gesundheit, mehr Lebensqualität, mehr Zufriedenheit – und unter Umständen sogar ein längeres Leben.

 

[1] Holt-Lunstad et al, 2010, [2] Oxhold et al, J Gerontol 2013