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„Der Schritt ins Ungewisse ist schwierig.“

Prof. Timo Stöver hilft täglich Menschen, wieder hören zu können. So wird selbst das größte medizinische Wunder für einen erfahrenen Arzt irgendwann zur Routine. Und doch hofft er, dass gehörlose Menschen diesen bedeutenden Schritt noch früher wagen.

Herr Prof. Stöver, das Universitätsklinikum Frankfurt gehört zu den bedeutendsten Zentren für CI-Implantation in Deutschland. Wie nehmen Sie die Entwicklung in der Versorgung wahr?

Die Versorgung unterliegt wirklich dramatischen Veränderungen: Anfangs bestand die Indikation zu einem Cochlea-Implantat ja nur bei kompletter Taubheit, es galt eher als eine Unterstützung beim Lippenlesen. Heute haben wir aber viele Patienten mit Restgehör – das ist sogar erwünscht, denn Resthörigkeit ist ein sehr positiver Faktor. Und während früher nur Erwachsene ein CI bekamen, wollen wir Kinder inzwischen möglichst noch im ersten Lebensjahr versorgen.

Gibt es auch eine Alters-Untergrenze, vor der Sie nicht operieren würden?

Nein, eine starre Grenze gibt es nicht. Natürlich muss die Diagnose stehen und die Operation mit minimalem Risiko möglich sein. Üblicherweise ist das ab dem vierten bis sechsten Monat etwa der Fall.

Haben auch mehr alte Menschen die Chance auf ein Implantat?

Das biologische Alter ist bei uns nie der limitierende Faktor. Bei uns werden Menschen auch mit achtzig, fünfundachtzig oder neunzig versorgt. Voraussetzung ist, dass die kognitiven Fähigkeiten da sind und dass ein Patient wieder hören will. Diese Menschen möchten die Isolation, die mit Gehörlosigkeit einhergeht, nicht mehr akzeptieren.

Wird die Behandlung denn auch dann von den Kassen gewährleistet?

Die Krankenkassen bezahlen diese Leistung selbst im hohen Alter glücklicherweise ohne Probleme, ich habe noch nie erlebt, dass deswegen diskutiert worden wäre.

Dennoch bemüht man sich, möglichst früh zu operieren.

Selbst, wenn ich 10, 15 oder 20 Jahre gehörlos war, habe ich eine faire Chance, auf diesem Ohr das Hören wieder zu erlangen. Es ist nicht unmöglich. Dennoch schaut man natürlich, dass man bei taub geborenen Patienten so früh wie möglich das Hören herstellt, denn in den ersten Jahren schreitet die Sprachentwicklung sehr schnell voran. Mit fünf oder sechs Jahren sind die Erwartungen in Bezug darauf dann schon deutlich eingeschränkter. Die Frage ist allerdings auch immer: Was werte ich als Erfolg? Denn die absolute Mehrheit der Patienten wird mit einem CI profitieren.

Wann kommt das CI denn überhaupt in Frage, wenn ich noch Restgehör habe?

Meist ist die Versorgung mit CI schon dann wirkungsvoller, wenn mit dem Hörgerät weniger als die Hälfte verstanden wird – das kann man ja genau messen. Die Erfolgsaussichten, dass man in diesem Fall mit einem CI besser versorgt wäre, sind enorm hoch.

Mit jeder CI-Operation ist ja ein Schicksal verbunden. An welchen Patienten oder welche Patientin erinnern Sie sich besonders?

Es klingt traurig, aber durch die vielen Erfolge, die man im Laufe der Karriere miterlebt, ist der CI-Eingriff für den Arzt selbst schon fast zur Routine geworden. Für den Patienten aber natürlich ist das ganz und gar nicht so. Ich erkenne da ein festes Muster in den meisten Geschichten: Die Leidenswege sind oft sehr lang.

Können Sie das beschreiben?

Oft tritt der Hörverlust ja schleichend auf, ist am Anfang unbemerkt und wird immer schlimmer. Das führt dann zu einer zunehmenden Isolation, Einladungen werden ausgeschlagen und Veranstaltungen gemieden. Die Familie ist für die Meisten einerseits ein Schutzraum – der Partner oder die Partnerin richtet sich in der Situation ein – aber andererseits kommt es gerade da auch oft zu Spannungen. Der Betroffene lacht ständig an der falschen Stelle, alles muss wiederholt werden. Auch beruflich wird es schwieriger. Irgendwann befindet man sich wirklich in Isolation und Depression, das geht sehr vielen so.

Dennoch fällt es den meisten nicht unbedingt leicht, sich aus der Situation zu befreien, oder?

Die Entscheidung machen sich die meisten Patienten wirklich schwer. Schließlich kommen sie ja mit ihrer Lage irgendwie zurecht, wurschteln sich durch. Der Schritt ins Ungewisse ist viel schwieriger. Ich höre von den Patienten allerdings hinterher unisono: „Hätte ich gewusst, wie das ist, hätte ich es viel früher gemacht.“ Dieser ganze Prozess, bis jemand wirklich seine Hilflosigkeit beendet, dauert bei manchen Patienten Jahre.

Bis dahin tut sich dann vermutlich technisch wieder Einiges. Was erhoffen Sie als Fachmann sich denn von der Forschung?

Ich erwarte mir besonders im Bereich der biologischen Komponente noch große Fortschritte. Dass wir tatsächlich bionische Elemente in der Hörversorgung haben werden, die mit dem Gewebe in Interaktion treten. Perspektivisch müssen wir das Ziel haben, dass man irgendwann mit dem CI genauso gut hört wie mit dem natürlichen Gehör. Die Geräte kommen da schon heute sehr nah dran und die meisten Nutzer werden sagen, dass sie gut hören. Kaum jemand wird jedoch behaupten, er höre genauso wie früher. Ich sehe das aber durchaus im Rahmen des Machbaren.

Auf seinem Expertenprofil erzählt Prof. Stöver unter anderem von den außergewöhnlichen Angeboten des Klinikums für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Frankfurt.

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