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tom

Tom

aus Saarbrücken (Deutschland)

Tom hat Hörverlust als Angehöriger erlebt: Sein Vater Stefan trägt zwei Cochlea-Implantate.
in Ausbildung zum Hörakustiker

Tom ist in Ausbildung zum Hörakustiker und hat Hörverlust als Angehöriger erlebt: Sein Vater Stefan verlor durch eine seltene Nervenkrankheit sein Gehör und trägt seit 2015 auf beiden Seiten ein CI. 

Tom ist Botschafter weil:

Wir haben in der Entwicklung meines Vaters gesehen: mit dem Prozess vom Nicht-Hören bis zum Wieder-Hören sind viele Ängste verbunden. Ich möchte diese Geschichte deshalb aus der Sicht unserer Familie erzählen und hoffe, anderen Betroffenen und Angehörigen beim nächsten Schritt helfen zu können.

Erfahrungsbericht Tom

1. Wie habt ihr den Hörverlust als Familie empfunden?

Der Hörverlust meines Vaters entwickelte sich gleichlaufend zu seiner Krankheit. Von den ersten Symptomen bis zur Diagnose vergingen zweieinhalb Jahre – und der Hörverlust verlief ähnlich rasant. Bis zur Implantation wurde er mit Hörgeräten versorgt, die aber irgendwann nicht mehr ausreichten.
Diese Zeit war für uns als Familie eine Belastungsprobe. Wir waren mit diesem Thema vorher überhaupt nie konfrontiert und es dauerte eine Zeit, bis man lernt, es zu akzeptieren. Das Problem ist: man kann nichts anderes machen, als den Hörverlust irgendwann zu akzeptieren. Der Weg zum CI ist ein stiller Prozess. Man hilft sich zwar durch Kommunikation mit Händen und Füßen, aber Isolation ist nicht zu stoppen.
Wir haben uns nicht so viel damit auseinandergesetzt, weil man sowieso nicht viel miteinander sprechen kann, die Kommunikation ist eingeschränkt. Man fängt an, das Thema zu verdrängen, indem man Gespräche auf das Notwendigste reduziert und viele Sachen gar nicht ausführt.
2. Wie wirkte sich das Thema Hörverlust auf den Alltag deines Vaters aus?

Ich denke, das Hauptproblem ist Isolation: Mein Vater war zwar da, aber hat nichts mehr mitgekriegt. Papa war immer sehr kommunikativ und das fiel nach und nach weg. Er hat sich auch von sozialen Kontakten mit Freunden und Bekannten mehr und mehr zurückgezogen, weil er nichts mehr verstehen konnte.
3. Wie habt ihr euren Vater unterstützt?

Ganz wichtig ist eine Sache: Geduld. Es ist das Schwerste, sie in dieser Zeit zu beweisen und unter Kontrolle zu haben. Man muss geduldig sein und den Menschen unterstützen. Natürlich sollte man Menschen, die man mag, immer unterstützen. Aber besonders während dieser Zeit ist eines das A und O: Geduld haben und sich dessen bewusst sein, dass dieser Mensch jetzt vielleicht mehr braucht. Das hat auch meine Mutter immer gemacht. Sie hat immer gedolmetscht. Sie hat bestimmt innerlich die Nerven verloren – auch mal nach außen hin – aber sie hat immer die Geduld gehabt, in allen Situationen für meinen Vater zu dolmetschen und für ihn da zu sein. Dieses Gesamtpaket führt dann auch dazu, dass jemand die Schritte wagt und sich für ein CI entscheidet, dass derjenige immer weiter kämpft und sich nicht zurückzieht – dann hätte man eigentlich verloren und die Person wäre isoliert. Es ist wichtig, dass alle an einem Strang ziehen.
4. Wann und wie habt ihr von der Möglichkeit eines Hörimplantats erfahren?

Mein Vater wurde während seines Hörverlustes mit Hörgeräten versorgt. Da hatte er eine sehr gute Akustikerin, die das CI ins Gespräch brachte. In der Universitätsklinik in Heidelberg sagte man ihm dann, dass er ein Kandidat für die Implantate wäre. Aber da mein Papa schon so viele Operationen und eine so lange Krankheitsgeschichte hatte, war das eher so, dass ich mir dachte: „Ok, das kommt also jetzt. Hoffentlich hilft das, aber warten wir erst mal ab, ob das was bringt.“
5. Wie erging es deinem Vater Stefan nach der Implantation? Was habt ihr beobachtet?

Mein Vater konnte schon nach der Ersteinstellung wieder Stimmen verstehen. Und es wurde von Woche zu Woche nach jeder Einstellung besser – es hat sich quasi überschlagen. Sogar die Audiologen haben sich gewundert und gesagt, das sei nicht normal. Aber das ist nicht schlimm: Es ist ein Beispiel, wie gut es laufen kann und das soll Mut machen.
Früher haben wir sagen können, was wir wollten. Heute müssen wir aufpassen, weil er alles versteht. Und er hört sogar, wenn der Backofen leise piepst. Was diese schnelle Verbesserung sicher auch begünstigte, ist, dass mein Vater seine Hörgeräte stets getragen hat – auch wenn sie eigentlich für das Sprachverstehen nichts mehr gebracht haben. Es war eine Stimulierung des Hörnervs. Viele legen ja die Hörgeräte weg, wenn sie dauerhaft nichts verstehen, aber er hat sie immer getragen. Ich denke, dass das wahrscheinlich mit eine große Hilfe war.
6. Wie hat sich euer Leben durch das CI verändert?

Wenn in einer Familie alle gut hören und plötzlich verliert ein Familienmitglied sein Gehör, dann merkt man erst, wie wichtig das Hören und die Kommunikation sind. Das ist ein Prozess von mehreren Jahren. Aber wenn das Gehör dann zurückkommt – wie bei meinem Vater – dann wird einem noch deutlicher bewusst, was einem verloren gegangen ist.
Mein Papa und ich, wir hatten schon immer eine sehr gute Bindung und den gleichen Humor. Und Humor lebt von Kommunikation aus, von der Betonung und der Ironie. Das ist nicht der Grundbaustein unserer Bindung, aber das war ein wichtiger Teil: dass wir unseren Spaß miteinander haben. Und es war diese Sache, an der ich gemerkt habe, wie schön es ist, wieder gemeinsam lachen zu können. Gemeinsam lachen zeugt davon, dass man glücklich ist und das wurde uns einfach genommen.
Klar, ich könnte jetzt viele Sachen aufzählen, die wieder funktionieren, aber im Grundprinzip ist es einfach schön, dass die familiären Strukturen zwischen meinem Papa und mir, zwischen der ganzen Familie, wieder selbstverständlich funktionieren. Das heißt, einander anrufen und telefonieren zu können, heimzukommen und miteinander sprechen zu können, zu viert am Tisch zu sitzen und schöne Gespräche zu führen, miteinander zu diskutieren. Wir können die Normalitäten des Familienlebens wieder so leben, wie es auch war, bevor mein Papa das Gehör verloren hat.
7. Was möchtest du Betroffenen und Angehörigen mit auf den Weg geben?

Man muss sich der Sache stellen: Viele reden sich lange ein, dass die anderen nuscheln und Ähnliches. Aber je länger man wartet, desto irreversibler sind die Schäden, die man davon trägt. Das Wichtigste ist, sich dem Hörverlust zu stellen. Und hoffentlich durch Geschichten wie die unsere den nötigen Mut zu packen und Türen zu öffnen, die man vielleicht lieber noch geschlossen gehalten hätte.
Außerdem muss man als Angehöriger Geduld zeigen: Man kann als guthörender Mensch niemals verstehen, wie es ist, sein Gehör zu verlieren, ganz egal in welchem Ausmaß. Deshalb ist Geduld so wichtig, damit man als Angehöriger nicht anfängt, Verzweiflung zu zeigen. Auch wenn es nur kleine Gesten sind und es einfach menschlich ist: Je mehr man abwinkt oder mit den Augen rollt, desto weniger Mut macht man dem Betroffenen in der Situation.