Links überspringen

„Professor Roboter“ im Operationssaal

Der Schweizer Facharzt für Otologie und Rhinologie, Prof. Dr. Marco Domenico Caversaccio, ist Klinikleiter vom Inselspital, Universität Bern, und eine Kapazität auf dem Gebiet der Cochlea-Implantationen. Zu seinem verlässlichen Assistenten-Team im Operationssaal gehört ein hochpräziser Roboter.

Herr Prof. Caversaccio, Sie verhelfen tauben bzw. schwerhörigen Menschen durch die Implantation von Cochlea-Implantaten wieder zu einem besseren Hörvermögen. Was wie ein Wunder klingt, ist das Ergebnis intensiver Forschungsarbeit, an der Sie selbst wesentlich beteiligt waren und bis heute sind. Wie sieht diese Forschungsarbeit aus?

Seit 1992 arbeiten wir im Inselspital Bern und am ARTORG Zentrum für Biomedizinische Forschung der Universität Bern unter anderem an der Weiterentwicklung von Hörgeräten und Implantaten. Im Sommer 2016 wurde im Rahmen einer klinischen Studie die weltweit erste roboterassistierte Cochlea-Implantation am Inselspital in Bern durchgeführt. Das ist eine konsequente Entwicklung, denn der Schwerpunkt unserer Forschungsarbeit liegt auf der „Translationalen-Medizin“, das heißt, wir setzen in enger Zusammenarbeit mit medizinischen Ingenieuren und Neuro-Radiologen die Forschungsergebnisse unmittelbar im Klinikalltag um und können durch die gegenseitigen Rückmeldungen die Operationsabläufe und Ergebnisse immer weiter verbessern.

In welcher Form unterstützt der Roboter-Assistent Ihre Arbeit? Kann man mit Robotern noch genauer im Kopf eines Menschen navigieren?

Genau das ist der Fall. Wesentlich bei robotergestützten Implantationen ist auch der Umstand, dass damit sogenannte Schlüssellochoperationen durchgeführt werden können – das heißt, die Einführung der Instrumente und der Kamera erfolgt über sehr kleine Zugänge. Das reduziert postoperative Schmerzen und trägt zu einem optimalen Heilungsverlauf bei. Wegen der komplexen Anatomie des Schläfenbeins war das bislang nicht möglich. Der von uns entwickelte auf Robotik basierende Behandlungsansatz ermöglicht nun solche minimalinvasiven, schonenden Eingriffe am Ohr.

Worin liegen die prinzipiellen Schwierigkeiten und Risiken bei einer Innenohr-Operation?

Wir haben Gesichtsnerven und Geschmacksnerven im Operationsgebiet und zwischen diesen beiden Nerven muss man durchzielen, um zum eigentlichen Operationsziel, nämlich zum Innenohr, zu gelangen. Das ist eine heikle Aufgabe und erfordert höchste Präzision. Mit unseren Robotern erreichen wir eine Genauigkeit von 0,1 bis 0,5 Millimeter und mit ihrer Hilfe können wir einen kleinen Zugangstunnel mit 1,8 mm Durchmesser direkt von außen zum Innenohr bzw. zur Hörschnecke bohren, um anschließend den Elektrodenträger des Cochlea-Implantates einzuführen.

Mit welchen Messinformationen steuern Sie den Roboter?

Wir haben drei verschiedene Messinformationen, um den Roboter präzise zu steuern: eine optische Tracking-Kamera, mit der wir die Position des Roboters und des Patienten bis auf 25 Mikrometer genau im Raum definieren können. Zudem messen wir beim Bohren die auftretenden Bohrkräfte, sodass wir unabhängig von der Kamera ableiten können, wo sich der Roboter im Knochen befindet. Zum Dritten schicken wir während des Bohrvorgangs elektrische Impulse ins Gewebe, mit denen wir erkennen können, ob sich der Roboter bestimmten Strukturen, wie zum Beispiel dem Gesichtsnerv, zu weit annähert.

Muss ein Chirurg unter diesen Voraussetzungen heute weitgehend vor allem auch Techniker sein?

Er muss beides sein. Er muss mit den technischen Systemen vertraut sein und mit den Instrumenten gut und sicher hantieren können. Er muss auch Vertrauen in seine technischen Mitarbeiter haben. Aber es ist nicht der Techniker, der letztens im Operationssaal die Hauptverantwortung trägt, sondern der Arzt. Als solcher muss ich den Operations-Vorgang jederzeit stoppen können, wenn mir zum Beispiel vorkommt, der Patient ist nicht gut genug fixiert oder wenn sich sonst ein Problem ergeben hat. Durch die Technik werde ich nicht von meiner Verantwortung als Arzt entbunden.

Braucht es bei den PatientInnen bestimmte Voraussetzungen für eine gute Prognose oder bewirkt die robotergestützte Cochlea-Implantationstechnologie in jedem Fall ein positives Ergebnis?

Die Patienten müssen gewisse Voraussetzungen mitbringen, die nicht nur bedarfsorientiert, sondern auch körperlicher Natur sind. Zum Beispiel darf die Gabel zwischen Gesichts- und Geschmacksnerven nicht zu klein sein. Und es muss auch das Implantat zum Ohr des Patienten passen. Die Hersteller haben mehrere Implantat-Typen entwickelt, das erleichtert die Wahl enorm. Vor einer Operation werden die Patienten genau vermessen, sodass schon vorher alle technischen Details festgelegt werden können. Zum Beispiel welche Elektrodenlänge ich verwenden muss. Für den Erfolg einer Operation ist eine gewissenhafte Planung unbedingt notwendig.

Tritt der positive Effekt sofort ein oder braucht es eine Gewöhnungs- bzw. Anpassungszeit?

Die positiven Effekte sind sofort abrufbar, aber es braucht ein wenig Zeit, bis sich die PatientInnen an das Implantat gewöhnen und damit umgehen lernen. Die meisten schaffen das relativ schnell, nur ältere Menschen, die vielleicht zitternde Hände haben, tun sich schwerer mit den doch sehr filigranen Bestandteilen der Hörgeräte – zum Beispiel beim Wechseln der Batterien. Insgesamt kommt es nicht nur auf die Einstellung der Geräte an, sondern auch auf die innere Einstellung der PatientInnen. Je positiver sie dem Vorhaben gegenüberstehen, umso besser ist zumeist das Ergebnis. Jene, die sich Wunder erwarten, werden vielleicht enttäuscht sein, wenn sie zum Beispiel in Situationen mit viel Hintergrundlärm Störgeräusche vernehmen.

Für gehörlose bzw. schwerhörige Menschen öffnet sich nach einer erfolgreichen Cochlea-Implantation eine neue akustische Welt. Was passiert in so einem Moment? Sind die Menschen überwältigt, verstört, glücklich?

Dankbare PatientInnen erzählen mir vom wunderbaren Moment, als sie zum ersten Mal Musik hören konnten oder die Stimmen ihrer Kinder bzw. Enkelkinder vernahmen.

Sehr erfüllend ist es auch, wenn wir schwerhörigen oder bislang sogar tauben Kindern und Jugendlichen dazu verhelfen können, eine Schule zu besuchen und eine gute Ausbildung zu erhalten. Das Hören öffnet ihnen die Welt und gibt ihnen eine Zukunft.

Erfahren Sie hier mehr über Prof. Dr. Marco Domenico Caversaccio.

[templatera id=“685″]