Hygienestandards in der Hörimplantatfertigung – Tipps vom Experten
Handhygiene und Mund-Nasen-Schutz sind seit Ausbruch der Corona-Pandemie in aller Munde. Für Beschäftigte in pharmazeutischen und medizinischen Fertigungsbetrieben sind regelmäßige Händedesinfektion und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes seit jeher täglich Brot. Endlich Wieder Hören hat sich mit Christian Dragosits, dem Reinraumverantwortlichen von MED-EL, unterhalten, der uns Einblicke in die Hygienevorschriften bei der Fertigung von Hörimplantaten – nicht nur in Corona-Zeiten – gewährte.
EWH: Unter welchen Bedingungen entstehen Hörimplantate? Unter welchen Bedingungen arbeiten die Fertigungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter?
CD: Ein Großteil der Hörimplantatherstellung erfolgt händisch und nicht mit Robotern, wie man das oft meinen möchte. Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Hörimplantatfertigung am MED-EL Firmenhauptsitz in Innsbruck arbeiten 38,5 Stunden pro Woche unter strengsten hygienischen Bedingungen in Reinräumen. Und das seit 30 Jahren.
Unsere Fertigungsräume sind keimkontrolliert, wobei die Keimzahlen mit verschiedenen Messungen regelmäßig getestet werden. Dank spezieller Filter sind die Reinräume so gut wie staubfrei.
EWH: Tragen die Beschäftigten in der Implantatfertigung spezielle Kleidung? Welche Hygienemaßnahmen müssen sie in ihrem Berufsalltag befolgen?
CD: Das Fertigungspersonal trägt spezielle, dicht gewebte Reinraumkleidung, die täglich gewechselt wird. Bei uns findet man übrigens die ungeschminkte Wahrheit. Make-up ist in der Implantatfertigung strengstens untersagt.
Vor dem Umkleiden ist Händewaschen angesagt. Hier setzen wir auf die Verwendung von hautschonender Seife, denn antibakterielle Seife kann den gesunden Keimhaushalt der Haut zerstören. Für die breite Bevölkerung heißt das im Idealfall Hirsch- oder Schmierseife ohne Duft- und Zusatzstoffe.
In der Personenschleuse werden die Hände desinfiziert. Das muss genauestens erfolgen und dafür werden die Fertigungsmitarbeiter intensiv eingeschult. Schnell ein paar Spritzer Desinfektionsmittel auf die Hände tropfen und kurz einreiben, das bringt wenig. Einreiben und so lange verreiben, bis die Hände trocken sind – das erst ist wirksame Desinfektion. Das von uns verwendete Desinfektionsmittel enthält Hautpflegesubstanzen. So vermeiden wir, dass die Hände zusätzlich belastet werden.
Die Einweghauben, die die Beschäftigten tragen, müssen alle Haare bedecken. Jeder Mitarbeiter muss deren Sitz im Spiegel genau kontrollieren. Auch der Mund-Nasen-Schutz in der Hörimplantatfertigung ist ein Einwegprodukt.
EWH: Welcher Mund-Nasen-Schutz wird in der Hörimplantatfertigung verwendet?
CD: Wir verwenden in der Fertigung nicht die in letzter Zeit häufig erwähnten FFP-2 und FFP-3 Masken, sondern Einwegmasken, die auch im „normalen“ OP- und Pflegebereich eingesetzt werden. Sie bestehen aus hochwertigem Polypropylen und sind glasfaser- und silikonfrei.
EWH: Wie oft müssen diese Masken gewechselt werden?
Christian: Nach spätestens zwei Stunden müssen die Masken getauscht werden. Wie übrigens auch die Handschuhe und die Haube. Der Wechsel erfolgt nach jeder Pause, von denen die Beschäftigten vier bis fünf pro Arbeitstag machen. Die kurzen Pausen dauern ein paar Minuten, die Mittagspause mindestens dreißig.
CD: Weshalb muss der Maskenwechsel so häufig erfolgen?
Christian: Der regelmäßige Wechsel ist enorm wichtig, denn sobald der Mund-Nasen-Schutz durchfeuchtet ist, wirkt er kontraproduktiv. Eine durchfeuchtete Maske wirkt wie eine Brücke für Keime, und zwar nach innen und außen. Sobald die Maske durchfeuchtet ist, schwimmen die Keime durch, als ob man eine Tür öffnet. Bei körperlicher Betätigung durchfeuchtet der Mund-Nasen-Schutz naturgemäß noch schneller.
Auch nach jedem Niesen muss die Maske gewechselt werden. Apropos Niesen: im Gegensatz zur Niesetikette für die breite Bevölkerung dürfen unsere rund 200 Fertigungsmitarbeiter nicht in die Armbeuge und somit ihren Mantel niesen. Sie müssen sich vom Arbeitsplatz wegdrehen, um keine Keime in die Nähe des Implantats zu bringen. Im Anschluss müssen sie die Maske sofort wechseln.
Es gibt zahlreiche weitere Verhaltensregeln in unseren Fertigungsräumen, die Übung, Disziplin und ein gewisses Maß an Selbstbeherrschung erfordern. Die Damen und Herren, die in der Implantatfertigung arbeiten, haben im „Corona-Alltag“ aufgrund ihrer täglichen Reinraumerfahrung auch außerhalb ihres Arbeitsplatzes sicherlich einen Vorteil.
EWH: Vielen Dank für die interessanten Einblicke in die Fertigungsbedingungen von Hörimplantaten, die einige Parallelen zu den aktuellen Hygienemaßnahmen in Corona-Zeiten aufweisen.