Nach einer Behandlung mit ototoxischen (gehörschädigenden) Medikamenten verlor Sonja aus Nürnberg allmählich ihr Gehör. Das war Mitte der 1990er-Jahre, zu einer Zeit, in der Hörimplantate noch nicht so verbreitet waren wie heute. Unhandliche Taschenprozessoren, das Risiko einer Gesichtsnerv-Verletzung und eine vermeintlich verknöcherte Cochlea waren die Hauptgründe, dass Sonja, damals knapp vierzig Jahre alt, eine Cochlea-Implantation nicht in Erwägung zog.
„Sie hören doch noch etwas mit Ihrem rechten Ohr“ oder „Wollen Sie wirklich komplett von der Technik abhängig sein?“, waren die Argumente, die damals HNO-Ärzte gegen die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat (CI) ins Spiel brachten. Überhaupt erhielt sie von Ärzteseite wenig Beratung und Unterstützung auf ihrem Weg zum Wieder-Hören.
„Natürlich hörte ich noch etwas auf dem zweiten Ohr, aber es war nur ein „Notfallohr“. Ich ging sehr einsam durchs Leben und war viel allein in der Natur“, erzählt Sonja mit einer gewissen Traurigkeit in der Stimme.
Cochlea-Implantat ja oder nein?
Umfangreiche Informationen im Internet, auf den Seiten von Hörimplantatherstellern, Berichte von Nutzern dieser mittlerweile auch immer weiter ausgereiften Technik und Gespräche mit Experten bewogen Sonja 2012 letztendlich zu einem Umdenken. Die Nürnbergerin fuhr in eines der größten CI-Zentren Deutschlands nach Hannover, wo man ihr nach einer MRT-Untersuchung grünes Licht für ihre Implantation gab. Die Verknöcherung der Cochlea war nicht so drastisch, wie die Ärzte in Nürnberg das bisher vermutet hatten, und war kein Hindernis für eine Implantation.
„Ich hatte monatelang Angst vor der Operation. Immer stellte ich mir die Frage, ob eine Einführung der Elektrode gelingen würde. Was, wenn nicht? Wenn ich zuvor gewusst hätte, dass alles unkompliziert und erfolgreich verlaufen würde, hätte ich mir diese Ängste ersparen können“, erinnert sich Sonja an die Zeit vor dem Eingriff zurück. Ihre Bedenken legte sie allerdings erst direkt im Operationssaal ab, als sie ihren Wunsch-Chirurgen vor sich stehen sah und auch den Apparat zur Überwachung des Gesichtsnervs. „Erst dann ließ ich mich narkotisieren.“
Sechs Wochen nach der gelungenen Operation wurde ihr der Audioprozessor angepasst. Gespannt ging sie in den Patientengarten, um herauszufinden, wie sich die Welt nun anhört. Stimmen, das Rauschen der Blätter, entfernte Autos.
Und war es wirklich das so schmerzlich vermisste Zwitschern der Vögel, deren Gesang sie als Kind schon unterscheiden hatte können? Vorsichtig erkundigte sie sich bei einem anderen Patienten. Einigermaßen verdutzt über diese Frage versicherte er Sonja, dass sie tatsächlich Vögel zwitschern hörte.
Tränen des Glücks rollten damals über Sonjas Wangen. „Dieses Glücksgefühl damals war wunderschön“, freut sie sich heute noch.
Vollkommen rund mit dem zweiten CI
2015 beschloss sie, auch das zweite Ohr mit einem CI versorgen zu lassen. Lange hatte sie diese Entscheidung hinausgezögert, da das – wenn auch minimale -Restgehör mitunter verloren gehen würde. In München wurde sie von Endlich Wieder Hören Experten Prof. Joachim Müller
operiert, der eine Elektrode für sie auswählte, die genau der Länge ihrer Cochlea entsprach. Sonja wollte unbedingt in den tiefen Frequenzen wieder etwas hören, auch, um Musik besser genießen zu können.
Mit dem zweiten Implantat konnte Sonja tatsächlich wieder Musik hören. Ganz bewusst entschied sie sich für die Musikrichtung Jazz, denn die Soli eigneten sich hervorragend, um einzelne Musikinstrumente unterscheiden zu lernen. Mittlerweile ist die Musikliebhaberin Mitglied in einem Jazz- und Bluesverein und besucht zwei Mal pro Woche Konzerte im Jazzstudio. Auch wenn sie selber nicht spielt, ist sie glücklich, live dabei sein und sich in der Pause an der Bar unterhalten zu können. Einem eigenen Musikprogramm in ihrem Audioprozessor verdankt Sonja außerdem, dass Musik wärmer und schöner klingt. Auch wenn es sich anders anhört als mit einem gesunden Gehör.
„Aus heutiger Sicht bereue ich die späte Entscheidung zum zweiten CI, denn ich habe viel zu lange damit gewartet. Mit dem zweiten CI ist meine Welt wieder groß und bunt geworden. Es ist wunderschön. Ich konnte wieder überall hingehen, teilhaben. Wieder in ferne Länder reisen und mit den Einheimischen sprechen. Als Erstes kam Australien, es folgten Länder in Lateinamerika. Ich kann mich wieder verabreden und vor allem Musik hören, tanzen gehen.
Als Ehrenamtliche am Klinikum habe ich ein offenes Ohr für die Sorgen und Bedürfnisse der Schwersterkrankten einer pneumologischen Station.
Ich hätte schon viel früher komplett wieder am sozialen Leben teilnehmen können.“
Nach fünf Jahren mit zwei Cochlea-Implantaten fühlt sich Sonjas Leben wieder vollkommen an. Durch die mit ihrer Schwerhörigkeit verbundenen Einschränkungen wurden Treffen mit Freunden und Bekannten immer weniger. Beziehungen brachen ab. Sie konnte zu wenig an deren Unternehmungen teilhaben.
Heute hat sie sich ihr gesellschaftliches Leben wieder zurückerobert und genießt es jeden Tag mit ihrem Lebensgefährten.
Eine wichtige Botschaft möchte sie anderen Betroffenen mit auf den Weg geben: „Warten Sie nicht zu lange. Entscheiden Sie sich frühzeitig für ein oder sogar zwei CI. Es bringt Sie wieder den Menschen nahe und eröffnet Ihnen die Welt!“