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Schluss mit der Ignoranz

Gehörlose Menschen begegnen oft unsensiblen Zeitgenossen. Ein CI-Botschafter berichtet vom fehlenden Respekt im Alltag. Und die deutsche Plattform Leidmedien.de will genau daran etwas ändern.

„Der hat nicht alle Tassen im Schrank.“ So spricht niemand offen über Torsten Schubert. Aber er ahnt, was in manchen Köpfen vorgeht, wenn er sagt, dass er ohne seine beiden Cochlear Implantate nicht hören kann. „Man wird nicht für voll genommen, obwohl ja nicht die Intelligenz, sondern nur ein Sinnesorgan eingeschränkt ist“, sagt der Journalist aus Hamburg.

Der gesellschaftliche Umgang mit behinderten Menschen sei noch deutlich verbesserungswürdig, findet auch Lilian Masuhr von der Berliner Plattform leidmedien.de. Das Projekt des Vereins „Sozialhelden“ sollte erstmals rund um die Paralympics im Jahr 2012 die sensible Sprache in der Berichterstattung verbessern. „Sprache prägt unser Bewusstsein und somit die Gesellschaft“, sagt Masuhr. Jahrzehntelange Forschung belege diesen Zusammenhang.

Lillian Masuhr, Redaktion Leidmedien | Bildnachweis: Andi Weiland

Leidmedien setzt darum dort an, wo Sprache massenwirksam wird und das Bild von Menschen mit Behinderungen prägt: in Zeitungen, Onlinemagazinen, Radiosendungen oder Fernsehformaten. „Wir werten die tägliche Medienberichterstattung über Menschen mit Behinderungen aus und diskutieren sie kritisch auf Social Media“, erklärt Masuhr.

Auch Betroffene weisen auf Artikel hin, die sie gelungen oder aber gar nicht gut fanden, und kommen zum Teil direkt mit den Autoren ins Gespräch. Durch Leitfäden für sensible Sprache, Hilfe in guter Interviewführung, und auch bei Workshops in Redaktionen lernen Journalisten dazu: Wie schreibe ich über blinde Menschen? Wie begegne ich einem Interviewpartner im Rollstuhl auf Augenhöhe? Welche Begriffe sollte ich meiden?

Niemand wird an den Rollstuhl gefesselt

Aufgrund der Erfahrungen der Gehörlosen-Community erklären die Leidmedien-Experten zum Beispiel, dass ein Wort wie „taubstumm“ beleidigend ist. „Gehörlose Menschen haben ja eine eigene Sprache, die Gebärdensprache, und sind gar nicht stumm“, sagt Masuhr.

Berichte über Menschen mit Behinderungen seien auch immer noch häufig erfüllt von Klischees und Floskeln: „Da heißt es dann etwa, dass jemand an den Rollstuhl „gefesselt“ sei“, nennt Masuhr ein Beispiel. Dieses äußerst schiefe Bild vom Rollstuhl als Gefängnis statt als Hilfsmittel störe viele Betroffene.

Auch die „Opfer-Erzählung“ sei unpassend: „Man liest dann: Er ‚leidet an seiner Behinderung‘ oder sie ‚meistert tapfer ihr Schicksal‘“, erzählt Masuhr.

„Dabei empfinden diejenigen das gar nicht so, weil ihre Behinderung ja zu ihnen gehört. Sie hadern nicht ständig damit, sondern gehen ihrer Arbeit nach und gestalten aktiv ihre Freizeit.“

Viele wissen zu wenig über Gehörlosigkeit

Auch Torsten Schubert hat mit seiner – zuerst einseitigen und später beidseitigen – Taubheit eine beachtliche Karriere hingelegt: Als Wirtschaftsjournalist und Korrespondent schrieb er für deutsche Qualitätsmedien und leitete große Projekte. „Sicherlich erstaunt das, weil ich mir ausgerechnet mit einer kommunikativen Behinderung einen Kommunikationsberuf ausgesucht habe“, sagt er lachend. Erfolg macht wahrscheinlich auch selbstbewusst. „Ich bin robust, mich kann man nicht so schnell beleidigen“, bestätigt der EWH-Botschafter.

Torsten Schubert | Bildnachweis: Lufthansa, 2017

Aber auch er ärgert sich mitunter, wenn die Verständigung nicht klappen will, obwohl er sein Gegenüber gut vorbereitet hat, wie man mit einem CI-Träger sprechen sollte: „Auf Veranstaltungen oute ich mich meist gleich zu Beginn als jemand, der nicht alles verstehen kann“, erzählt Schubert. „Ich bitte darum, dass man mir den Kopf beim Sprechen zuwendet, einerseits fürs Hören und weil ich im Zweifel auch mal Lippenlesen muss.“

Doch obwohl die meisten Mitmenschen betroffen reagieren würden und sofort „Ja, Ja“ zu seinen Hinweisen sagen, verhielten sich manche falsch: „Im nächsten Moment wenden sie sich erst recht beim Sprechen ab oder erzählen wild durcheinander“, sagt Schubert.

Behinderungen sind in den Medien kein Thema

Ignoranz habe immer zwei Seiten, findet er: „Bei Einigen scheitert es an der Erziehung, aber das ist selten.“ Überwiegend würde er den Leuten gar keinen Vorwurf machen wollen: „Es liegt am fehlenden Wissen. Die meisten Menschen haben schlichtweg keine Ahnung davon, wie es ist, nicht Hören zu können – oder ein CI zu tragen.“
Den richtigen Umgang mit Hörgeschädigten zu lernen, brauche auch den Kontakt zu Betroffenen:

„Das ist wie in der Fahrschule, den Führerschein bekommen Sie auch nicht ohne Praxis.“

Lilian Masuhr und das Leidmedien-Team wollen zumindest auf Medien-Ebene den Kontakt verstärken. Um die strukturellen Probleme zu ändern, sei mehr Aufmerksamkeit der Journalistin für die wichtigen Themen nötig: „Wir wollen mehr darüber lesen, welche echten Hürden es für Menschen mit Behinderungen heute noch gibt – und wie man sie abbauen kann“, sagt sie. Sie hofft, dass sich eine Erkenntnis irgendwann durchsetzt:

„Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert.“

Sprechen wir über das Leben mit CI

Als betroffener Journalist hat auch Torsten Schubert versucht, interessante Texte rund um Gehörlosigkeit und das Leben mit CI in großen Medien unterzubringen. „Aber das können Sie vergessen“, sagt er nicht ohne Bitterkeit. „Leider ist dieses Thema nicht aktuell oder überraschend genug.“ Und das, obwohl jeder Fünfte irgendwann im Leben von Hörverlust betroffen sei.

Um die breite Masse für ein hilfreiches Verhalten gegenüber gehörlosen oder schwerhörigen Menschen zu schulen, müsse man die Gesunden aber viel früher bilden. „Für mich beginnt das schon in der Schule. Ich habe als Kind echte Probleme gehabt, vor allem mit Lehrern“, erinnert sich Schubert. „Einer wurde regelrecht aggressiv, nur weil ich ihn nicht hören konnte.“

Er selbst macht es interessierten Menschen möglichst leicht, über das „Hören mit CI“ mit ihm ins Gespräch zu kommen. Das stört ihn gar nicht und passiert häufig – denn er trägt nicht graue, sondern auffällig bunte Prozessoren. „Und zwar auf hanseatische Art: links ist Rot für Backbord, rechts ist Grün für Steuerbord“, sagt er und lacht.

„Im Ernst: Ich hoffe, dass ein CI für uns alle irgendwann so selbstverständlich ist wie eine Brille.“


Über Leidmedien.de

  • Das Projekt für sensible Sprache wurde vom Berliner Verein „Sozialhelden“ ins Leben gerufen, der sich mit vielen praktischen Aktionen für mehr Barrierefreiheit und Inklusion von Menschen mit Behinderungen einsetzt: www.sozialhelden.de
  • Ein erfolgreiches Projekt der Sozialhelden ist auch die sogenannte „wheelmap“, wo rollstuhlgerechte Orte auf der ganzen Welt vermerkt sind. Sie ist unter www.wheelmap.org auch als Smartphone-App verfügbar.
  • Neu ist die Plattform Gesellschaftsbilder.de: Diese kostenfreie Fotodatenbank zeigt Menschen mit Behinderung, aber zum Beispiel auch mit Migrationshintergrund, in allen möglichen Lebenssituationen – als Vortragende bei einer Podiumsdiskussion oder in der Gastroküche. So sollen klischeehafte Darstellungen in den Medien vermieden und durch schöne, positive Bilder ersetzt werden.
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